Via twitter stieß ich auf diesen Text und bat snougata ihn hier einstellen zu dürfen:
„Der Ton macht die Musik – Argumentation zwischen Betreuungsgeld und Grundeinkommen
Schon seit einigen Wochen verärgert mich die Art und Weise, in welcher die Debatte zum Betreuungsgeld ihren Lauf nimmt. Es tun sich dabei ähnlich diskriminierende Nuancen auf, wie man sie gegenüber Hartz IV-Beziehern immer wieder wahrnimmt.
Allein das Wort „Herdprämie“ birgt die selbe Verachtungstendenz, die sich in stigmatisierenden Wertungen wie „Schmarotzertum“ in den alltäglichen Sprachgebrauch von Politikern und leider auch Bürgern gebrannt hat.
Einmal ganz abgesehen von der lächerlichen Höhe des zur Disposition stehenden Betreuungsgeldes, schwingt sich der Tenor der Gegnerschaft scheinbar darauf hinauf, die Daseinsberechtigung einer Frau einzig und allein über ihre Erwerbsnützlichkeit zu definieren. Fremdbestimmung kann doch aber nicht Anliegen von Emanzipation sein?! Während in vielen Dialogen allgemein von der Fixierung auf Erwerbsarbeit abgerückt wird, dreht sich das Betreuungs-Roulette fast ausschließlich um die Frage weiblicher Berufsausübung. Anmaßend wird darüber befunden, dass es einer „modernen, emanzipierten“ Frau gar nicht zustehen darf, sich möglicherweise auch ganz für eine Mutter-Rolle zu entscheiden. So entpuppt sich die Argumentation gegen das Betreuungsgeld nicht etwa als ein Votum für das Grundeinkommen bzw. für das freie Entscheidungsvermögen von Frauen und Familien, sondern als neuerliches Korsett! Frau Schröder hat aber nicht ganz unrecht, wenn sie meint, dass Frauen sich ihren Alltag als Mutter und Berufstätige heute selbst organisieren sollen und können. Dass K. Schröder diese Fähigkeit nur ohnehin wohlhabenden oder gut verheirateten Frauen zubilligt und Hartz IV-Bezieher von dieser Wahlfreiheit ausnimmt, steht freilich auf einem anderen Blatt.
Um einem falschen Eindruck vorzubeugen: Natürlich wollen wir eine Gesellschaft so gestalten, dass es Frauen möglich ist, sich frei für einen Beruf zu erwärmen und diesen so intensiv und unabhängig auszuüben, wie es ihnen sinnvoll erscheint. Aber ebenso müssen wir respektieren, wenn Frauen und Familien andere Lebensmodelle wählen. Es passiert nicht selten, dass Frauen ihre Prioritäten im Laufe ihrer Biografie ganz stark ändern. Viele sogenannte „Powerfrauen“, die beruflich aktiv und engagiert sind, sehen sich völlig neuen Erfahrungen gegenüber, wenn sie Mutter werden. Auch mit Anzahl der Kinder oder wachsender Lebenserfahrung wandeln sich Einsichten. Die Zeit mit Kindern gewinnt an Wert, wenn Familien sich darüber klar werden, dass diese Zeit sehr flüchtig ist. Wenn sie erleben, wie viel Geborgenheit der Nachwuchs benötigt, treten einstige Karrierewünsche oft in den Hintergrund. Das ist doch auch erfreulich und nicht verwerflich. Wie wollen wir denn zu einer wertschätzenden Gesellschaft finden, wenn wir gegenüber Eltern in missbilligender Weise Argumente anhäufen?
Nur die allerwenigsten Eltern mögen für den Rest ihres Lebens hinter dem „Herd“ stehen, ohne sich weiter zu entwickeln. Wir wissen aus den Überlegungen und Studien zum Grundeinkommen, dass der Mensch von sich aus lernt und tätig sein möchte. So muss es also darum gehen, individuelle, statt staatlich verordnete Lösungen zu finden. Familie ist ein privater Bereich, in den sich zunächst einmal keine Regierung, keine Partei und keine Frauenbewegung einzumischen hat (es sei denn, der konkrete Wunsch wird von einem Familienmitglied nach außen getragen). Wenn wir nicht wollen, dass der Staat unentwegt über uns Bürger bestimmt, braucht es konsequenterweise Varianten, die der Vielfalt von Lebensansichten, Familienmustern und Arbeitsbiografien gerecht werden.
Familien sind ein kleiner Mikrokosmos mit einer eigenen, sehr persönlichen Dynamik. Die Rahmenbedingungen für selbst gewählte Lebensmodelle zu schaffen, das muss und kann Aufgabe sein – mit dem Grundeinkommen und mit der Bereitstellung von wirklich guten, statt beliebigen Betreuungsmöglichkeiten. Die Debatte über die Qualität der Betreuung wird momentan allerdings völlig unzureichend geführt. Kinderbetreuung sieht in ländlichen Gegenden beispielsweise ganz anders aus als in Städten mit unterschiedlichsten Angeboten, die zumeist auch hier nur die freien Träger leisten. Familien auf dem Land stehen bei der Kinderbetreuung kaum alternative Konzepte zur Verfügung. Nicht alle Eltern wünschen sich für ihr Kind aber eine frühere DDR-Erzieherin oder einen katholischen Kindergarten (nur um 2 Beispiele zu nennen). Gerade kleine Kinder benötigen nicht vorrangig ein vom jeweiligen Parteibuch beschlossenes Umfeld sondern Liebe, Zuneigung, viel Zeit, Umsicht und Geduld. Eltern müssen entspannt sein, brauchen, je nach Temperament des Nachwuchses, Nerven und Rückhalt. Glückliche Kinder, die ihr eigenes Tempo im Leben finden, wachsen in glücklichen Familien auf. Und was Glück ist, sollte noch immer Jeder für sich herausfinden dürfen. Diese Frage ist keiner Ideologie zu unterwerfen. Erziehungsarbeit wurde in den vergangenen Wochen auf Grundlage von Unterstellungen regelrecht abgewertet. Das ist erschütternd, zumal es in erster Linie um Betreuung von Klein(!)-Kindern geht. Es gibt durchaus intelligente Mütter und auch Väter, die mit zwei, drei Sprösslingen rund um die Uhr beschäftigt sind, sich oft nebenbei weiterbilden oder Sinnstiftendes leisten und sich beruflich wieder stark machen, wenn sie die Kinder auf ihre Bahn gebracht haben.
Das Bedingungslose Grundeinkommen gäbe Müttern und Vätern die Möglichkeit, ganz persönlich und flexibel abzuwägen, wie Familie gelebt und in den Arbeitsrhythmus integriert wird. Eine Entscheidung für das Betreuungsgeld wäre in der Tat ein STOP auf halber Strecke auf dem Weg zum Grundeinkommen. Allerdings sollten wir das Betreuungsgeld nicht mit Argumenten abschießen, die für die Grundeinkommens-Debatte unerlässlich sind.“
Herzlichen Dank an Snougata
snougata ist Mutter, freie Redakteurin und arbeitete nebenberuflich mit Kindern und Pferden (Reittherapie).
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Dieses Thema griff auch Sascha Liebermann in zahlreichen Blogbeiträgen auf. Hier der Link zu seinem Blogpost in dem er den parteiübergreifenden Aufruf „ Nein zum Betreuungsgeld! “ kommentiert.
Auszug:“Weitreichender als dieser erste Teil noch ist die Haltung im anschließenden Satz. Es wird davon gesprochen, Leben, Familie und Beruf zu organisieren. Unvergleichbares wird zusammengeworfen. Organisieren, ohne Schaden anzurichten, lassen sich routinisier- und standardisierbare Abläufe, also Arbeitsgänge, Aufgabenerledigungen – nicht aber das Leben und damit Menschen.“
Am Dienstag, 19.6.2012 um 20:00 Uhr diskutieren wir dieses Thema auf Initiative von Georg Jähnig im Erzengel.
Es empfiehlt sich das Programm vorher zu installieren und zu testen
Ich freue mich auf unseren Austausch,
Herzlich, Susanne
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